9 Sep

Buyouts

Ohne Referenzen bekommt man keine Jobs, und ohne Jobs bekommt man keine Referenzen. So etwa könnte man das Dilemma beschreiben, in dem sich junge Komponistinnen und Komponisten befinden, die das Komponieren für Radio, Fernsehen und andere Medien zum Beruf machen wollen. Hinzu kommt am Anfang der meisten kreativen Freiberufe ein zweites Dilemma: Wenn man nicht durch das Kreativschaffen selbst Geld verdient, muss man anderweitig Geld verdienen, hat dann aber weniger Zeit für sein eigenes Kreativschaffen.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie es war, als ich mit Mitte 20 meine ersten Kompositionsaufträge von Radio- und Fernsehsendern erhalten habe. Ein Gefühl von maximalem Enthusiasmus machte sich breit, verbunden mit großer Dankbarkeit dafür, nach Jahren des ungewissen Darauf-Hinarbeitens eine echte Chance zu bekommen, die Dilemmata aufzulösen.

Allerdings hat die Realität meist gezeigt, dass beide Dilemmata schnell gegeneinander ausgespielt werden, wenn es um Honorarverhandlungen geht. Ich hörte als junger Komponist Sätze wie: „Wenn du die Chance bekommst, für uns zu komponieren, wird dir das viel an Erfahrung und Reputation bringen – da wäre ich an deiner Stelle sehr vorsichtig, wenn es um Honorarforderungen geht.“

Ganz ehrlich: Solche Ansagen der Auftraggeber saßen tief. Ich wollte mir die Chancen ja nicht zerschießen. Und ich kann die Haltung im Grunde keinem von ihnen verübeln. Denn tatsächlich bedeutet es ja auch für eine Auftraggeberin oder einen Auftraggeber ein Risiko, mit einem „Newcomer“ zusammenzuarbeiten, und die Erfahrungen, die man durch seine ersten Jobs sammelt, sind von unschätzbarem Wert für den weiteren Werdegang.

Allerdings galt es natürlich auch, ein Auge darauf zu haben, das zweite Dilemma zu lösen. Wann würde der Punkt kommen, wo man sich an üblichen Budgets orientieren könnte?

Tatsächlich hat mich diese Frage in den 1990er und 2000er Jahren aber nicht so sehr beschäftigt, denn ich wusste, dass ich irgendwann meine GEMA-Tantiemen erhalten würde, wenn meine Arbeiten erfolgreich wären. Und so passierte es dann auch, dass Projekte, die noch während den vorsichtigen Honorargesprächen als „klein“ und „nur für kurze Zeit on air“ beschrieben worden waren, langfristig erfolgreich wurden und meine Musik häufig und intensiv genutzt wurde. Es waren die über die GEMA ausgeschütteten Tantiemen – gewissermaßen Nutzungshonorare oder Erfolgsbeteiligungen –, die mir nach und nach die Unabhängigkeit von anderen Jobs ermöglichten und es mir gestatteten, mich ganz auf mein Kreativschaffen zu konzentrieren.

Das Bestechende am Konzept der Nutzungsvergütung ist, dass nicht vorab über das Nutzungsvolumen von Musikwerken verhandelt werden muss. Kein Mensch kann wissen, ob eine Show oder ein Film erfolgreich werden oder nicht.

Vor diesem Hintergrund erfüllt es mich mit Sorge, dass in einigen medialen Bereichen zunehmend Druck auf Komponistinnen und Komponisten aufgebaut wird, ein „Total Buyout“ zu akzeptieren. Ein solches würde bedeuten, dass keine Nutzungsvergütungen über die GEMA oder anderweitig gezahlt werden, sondern dass mit einem pauschalen Geldbetrag alle zukünftigen Nutzungen abgegolten werden.

Natürlich hat auch ein „Total Buyout“ gewisse Vorzüge für Kreativschaffende. Sie kommen bei Pauschal-Vorabzahlung schneller an Geld, das über die GEMA erst in der Zukunft fließt. Aber eines muss klar sein: Medienproduzierende können bei Verhandlungen von Total Buyouts niemals einen langfristig hohen Erfolg mit entsprechend hohem Nutzungsvolumen der Musik einkalkulieren, weil das für sie zu riskant und teuer wäre. Sie müssten dann Zahlungen vorab kompensieren, die nach dem GEMA-Modell nicht von ihnen, sondern von Anderen getragen werden, nämlich den Nutzerinnen und Nutzern. Wenn ein Fernsehfilm ins Ausland verkauft und dort genutzt wird, sind es die dortigen Sender, die an die Verwertungsgesellschaft zahlen, nicht die Produzentin oder der Produzent, mit dem ich verhandle. Es ist somit nahezu ausgeschlossen, dass Komponistinnen und Komponisten über Total Buyouts langfristig ebenso am Nutzungserfolg ihrer Werke beteiligt werden wie nach dem GEMA-Modell.

Die Gründe, weshalb „Total Buyouts“ derzeit häufiger gefordert werden, liegen auf zwei Ebenen. Einerseits ist es für Medienproduzierende einfach, nach Zahlung eines Einmalbetrags alle Rechte „eingetütet“ zu wissen. Andererseits liegt der Profit für ungeahnten Erfolg bei Einmalzahlung voll auf Seiten der Produzierenden und der auswertenden Medien. Komponistinnen und Komponisten sind von der Wertschöpfungskette dann abgeschnitten zu Gunsten Anderer. Hinzu kommt der rasante Aufstieg multinational agierender Video-Streamingdienste, bei denen sich Ersparnisse bei der Auswertung von urheberrechtlich geschützten Werken durch die Vielzahl an weltweiten Auswertungs-Plattformen potenzieren.

Allerdings setzt das deutsche Urheberrechtsgesetz genau bei solchen Vorteilen für die Verwerterinnen und Verwerter an, und es wurde infolge der EU Copyright Directive von 2019 zusätzlich präzisiert im Jahr 2021. Es sieht in §32a klar vor, dass diejenigen, die Nutzungsrechte am Werk erworben haben, dafür haften, wenn die gezahlten urheberrechtlichen Vergütungen sich als unverhältnismäßig niedrig im Verhältnis zu den Erträgnissen oder Vorteilen derjenigen erweist, die die Nutzungsrechte erworben haben.

Im Grunde kann es nach deutschem Recht (und ebenso nach dem Recht der meisten europäischen Länder) keinen Total-Buyout-Vertrag geben, der im Fall umfangreicher Werknutzung längerfristig Bestand hat. Die Wahrnehmung von Aufführungsrechten und Mechanischen Rechten durch die GEMA ist ein Schutz für beide Seiten – für die Produzierenden und Nutzenden vor Rechtsunsicherheit und für die Urheberinnen und Urheber vor Übervorteilung.

Ich persönlich gehe davon aus, dass sich das System der Nutzungsvergütung über die GEMA langfristig halten und als überlegen gegenüber Total-Buyout-Zahlungen herausstellen wird, da ein funktionierendes Ökosystem für alle Beteiligten langfristig und übergeordnet von Vorteil ist. Schließlich wird das meiste Geld mit Inhalten verdient, die das Maximum an kreativem Potenzial beinhalten. Und da schließt sich der Kreis zum Anfang dieses Artikels: Nur Kreativschaffende, die den schwierigen Eintritt in die professionelle Welt schaffen und nachhaltig von ihrem Kreativschaffen leben können, können auch nachhaltig Inhalte schaffen. Eine faire Beteiligung von Urheberinnen und Urhebern ist Garant und nicht Hemmschuh dieser Wertschöpfungskette.

Entsprechend kann ein Appell an die Politik nur lauten, in zukünftigen Gesetzesnovellen darauf zu achten, dass der Umgehung des deutschen Urheberrechts – etwa durch die Anwendung von US Copyright Law in europäischen Verträgen – Einhalt geboten und das System der Nutzungsvergütung gestärkt wird.

Autor: Anselm Kreuzer, Komponist.

 

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